Shalom

Endlich ist die Küste in Sicht. Die Strandlinie, der Stadtrand, und weit entfernt im Norden, kann ich die Hochhäuser von Netanya sehen. Eben haben wir Herzlia passiert und drehen in einer weiten Rechtskurve in den langen Endanflug ein. „Cabincrew, prepare for landing!“, lässt sich das Cockpit zum letzten Mal vernehmen.
Erleichterung macht sich breit, ich bin froh, neigen sich die 4 Stunden Flug dem Ende zu.
Ich bin sehr gespannt auf das Land, die Leute, die Atmosphäre. Ich spüre eine zaghafte Angespanntheit: wie wird es diesmal wohl sein? Wie werde ich die 13 Wochen erleben, schliesslich sind bereits wieder 18 Monate seit meinem letzten Mandatsauftrag und ein halbes Jahr seit dem 7. Oktober vergangen.
Fragen über Fragen, noch unbeantwortet, formen sich in meinem Kopf, während die 737 mit einem heftigen ‘Rumpler’ auf der Piste aufsetzt.

Mein neuerliches Engagement im Dienst von IAA (Israel Airport Authority) löste im Vorfeld heftige Reaktionen aus. Bestürzung bis hin zu totalem Unverständnis durfte ich mir anhören, sogar der Vorwurf von Leichtsinn. Und doch war ich vom ersten Moment der Anfrage an felsenfest überzeugt, dass ich gehen sollte. Kein Zweifeln, kein Zögern - genau jetzt benötigen sie meine ungeteilte Unterstützung.
Flüchtig betrachtet, stellte ich (fast) keine Abweichungen zu früheren Aufenthalten fest.
Das Verkehrschaos am Morgen und am späteren Nachmittag (Arbeitsweg) ist bekannt. Tel Aviv gleicht immer noch einer Grossbaustelle – es wird gebaut, was das Zeug hält. Auch das allabendliche Flanieren entlang des Strandes hat sich nicht geändert. Überall, aber nicht mehr so überfüllt, ein friedvolles, wildes Gewusel von Personen, Jung und Alt. Das Beach-Leben am Wochenende fröhlich und wie bis anhin gut besucht – Liegeplatz Mangelware. Das öffentliche Tanzen auf dem Platz am Strand unterhalb des Hotel Renaissance, jeweils am Freitagnachmittag, fand statt und erfreut sich weiterhin grösster Beliebtheit. Die Restaurants sind am Wochenende gut besucht, Reservation nötig, wenn du einen Platz auf sicher haben willst. Taxis überall unterwegs und meistens ausgebucht. Die Leute erlebe ich kontaktfreudig, kommunikativ, offen und freundlich, wie eh und je.
Oder ist da trotz allem irgendetwas das ich nicht, oder noch nicht realisiert oder festgestellt habe?
Natürlich sehen die öffentlichen Plätze aus, als wären sie Gedenkstätten der Opfer und Geiseln der Anschläge vom Oktober. Fast alle Geschäftsfenster sind mit Plakaten ‘Bring them home, now!’ tapeziert. Ebenso prangen diverse Porträtbilder der Opfer, Vermissten oder Geiseln an Balkonen und Hausfassaden, brennen Kerzen Tag und Nacht, erinnern, halten die Tragödie im Gedächtnis.
Nach den ersten zwei Wochenenden, in denen ich reichlich Zeit hatte, meine Freunde zu treffen, auszutauschen und das vibrierende Tel Aviv-Leben auszukosten, fühlte ich und fielen mir doch erhebliche Unterschiede auf.
Die Touristen fehlen komplett. Die Hotels sind leer und wenn nicht, dann sind Evakuierte, aus dem Umland des Gazastreifens und dem nördlichen Grenzgebiet zum Libanon, darin untergebracht. Auf Kosten des Staates. Die Taxis sind preislich massiv günstiger geworden, da sie keine Touristen herumfahren können, sondern auf die Einheimischen hoffen. Den öffentlichen Bauten (neue Metro/Tram-Nahverkehrsbahn) fehlt das Geld und werden nur zögerlich umgesetzt.
Israel hat ein gewaltiges Wirtschaftsproblem! Es kann und darf so nicht weitergehen
Deutlich spürte ich eine grosse und zugleich lähmende Bedrückung, die sich wie eine schwere Decke auf das gesamte Land gelegt hatte. Zwar begegnete mir das freudige und offene Wesen der Israeli weiterhin, aber immer gefolgt von einer Traurigkeit, hervorgerufen durch das kollektive Trauma der Oktoberereignisse.
Ich spürte diese ‘Geiselhaft’ gegenüber der Politik der Regierung, in der sich die gesamte Bevölkerung befindet. Es ist diese Zerrissenheit: einerseits wollen alle Frieden, andererseits müssen sie stark sein gegenüber ihren erklärten Feinden, die sie ausrotten und ins Meer treiben wollen. Es ist die Ohnmacht, nichts tun zu können, damit die letzten Geiseln endlich heimkehren können. Es ist diese Ungeheuerlichkeit der Regierung den Krieg (noch) nicht beenden zu wollen.
Für wie lange noch?
In meinen 13 Wochen musste ich nie einen ‘Shelter’ aufsuchen. Ausgerechnet am Wochenende, an dem die jemenitische Drohne, zwei Häuserzeilen weiter als meine Wohnung, in einem Wohnblock einschlug, befand ich mich auf ‘Stippvisite’ in der Schweiz und besuchte das ‘Basel-Tattoo’.
Die Dankbarkeit der ‘Trainees’ und der Verantwortlichen des Kurses war überwältigend und kannte kaum Grenzen.
Auch ich bin äusserst dankbar für die Bewahrung und die berührende Zeit in Israel, zusammen mit meinen Freunden.
Einmal mehr – ich gehe wieder!

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Wie gewonnen, so zerronnen!

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